Achtung: die Posts zu der Impfaktion werden textlastig. ich versuche mich kurz zu fassen wie sonst auch (denn ich lese auch nicht gerne Blogs, die nur aus Text bestehen), aber ist ja auch mein Blog hier, ich darf machen was ich will, bätsch. für Fotos nach unten scrollen.
19. November, 2011
vor ein paar Wochen war am Samstag eine Red-Cross-Activity: Impfen gegen Polio. Wikipedia sagt dazu:
Die Poliomyelitis (epidemica anterior acuta) (zu Altgriechischπολιός „grau“ und μυελός „das Mark“), kurz Polio, deutsch Kinderlähmung oder Heine-Medin-Krankheit,[1] ist eine von Polioviren hervorgerufene Infektionskrankheit, die bei Ungeimpften die muskelsteuernden Nervenzellen des Rückenmarks befallen und zu bleibenden Lähmungserscheinungen bis hin zum Tod führen kann. Überwiegend sind Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren, gelegentlich auch ältere Personen bis ins Erwachsenenalter betroffen. Für diese Viruserkrankung gibt es keine ursächliche Behandlung. Aufgrund der konsequenten Impfung gibt es heute in Deutschland keine Polio mehr.
… in Uganda aber schon.
von dieser Impf-Aktion haben Claudius und ich eher zufällig erfahren, und mussten erst extra fragen, ob wir auch mitdürfen (...).
eigentlich hatten wir geplant, am dem Wochenende Andrea und Felix in Fort Portal zu besuchen, zusammen mit den Leuten aus Entebbe, Mukono und Mbale. das haben wir dann abgesagt, um an einer interessanten activity teilnehmen zu können. die Gelegenheiten dazu sind ja eher spärlich gesäht.
Samstag morgen um 8 waren wir also im Office, bekamen eine Polio-Schürze umgehängt und jeder einen Stoß Formulare. zusammen mit um die 15 anderen Freiwilligen aus der Branch gingen wir zum Jinja Central Health Centre, von wo aus die Aktion koordiniert wurde.

zuerst gehen wir in das Dorf Nile Crescent. ein sogenanntes 'Village' scheint eher eine Art Stadtteil von Jinja zu sein. auf unseren Formularen müssen wir jedenfalls Distrikt, Gemeinde und Dorf eintragen. außerdem den Chairman, also Vorsitzenden von jedem Dorf, und das 'Jinja Central Health Center', von dem die Impfung kam, plus natürlich Name und Alter des geimpften Kindes.
das erste Haus liegt an der Ecke, nur ein paar Meter vom Health Center entfernt. ein paar Frauen sitzen davor, Rosie tropfte allen Kindern die Impfung in den Mund und Francis schreibt mit Kreide an die Tür: R6, H1, 3/3. insgesamt sechste Impfrunde, Haus 1 des Dorfes, 3 von 3 Kindern unter 5 Jahren geimpft.
nach einem Marsch durch ein Miniatur-Reisfeld (in der Stadt!) und mehrere schlammige Hinterhöfe, wo kleine Kindern hinter dem obligatorischen Haustür-Vorhang hervorgeholt werden, ist diese Nachbarschaft abgehakt.
wann immer wir auf dem Weg zwischen den Häusern ein Kind aufgabeln, das jünger als 5 aussieht, bekommt es kurzerhand eine Impfung. die Dokumentation folgt dann später, sobald (bzw. gesetzt den Fall dass) wir die Mütter oder älteren Geschwister treffen. geimpften Kinder malen wir den Nagel des rechten kleinen Fingers lila an, mit einem Edding. nachdem ich mich mit Absicht blöd anstelle beim Häuserbeschriften, darf ich die Kreide an Francis abgeben und die süßen kleinen Kinder markieren. wie so oft finden mich einige Babys unheimlich und heulen ein bisschen.
die meiste Zeit redet Rosie mit den Müttern Luganda oder Lusoga, die local languages die in der Region um Jinja gesprochen werden, und ich versteh nicht so viel. sie fragt meistens nach einem Baby oder sweetie, englische Wörter. „lugandalugandaluganda sweetie, eh?“ hört sich das für mich an. ein sweetie ist ein Kleinkind, reim ich mir zusammen.
abgesehen von diesem Kosewort knufft Rosie die Babys in die Wange und streicht ihnen über die Haare, sagt „ohhh Baby! tut mir so leid!“, wenn sich Kinder wehren und schreien, und ist sehr lieb zu den Babys, auf eine Art und Weise, die man in Deutschland bestimmt unprofessionell fände. ich finde es schön, dass wir nicht so tun müssen, als wären die Kinder nur ein Job.
weiter zu einer muslimischen Schule (wo auch Leute wohnen). ein paar Mädchen mit Kopftuch spielen Ball vor einer Moschee, Babys werden uns bereitwillig hingehalten und Kleinkinder machen brav den Mund auf. an der Tafel in einem der Räume stehen arabische Schriftzeichen, und ich sehe eine Dreijährige mit einem Kopftuch.
zwei Babys sitzen mit nacktem Po auf dem Boden. „sitzen bei euch Babys auch so im Dreck?“, fragt mich Rosie. „ähm nein, die meisten Menschen finden das ungesund“, sage ich. „afrikanische Babys sind stark, die können das ab“, antwortet sie.
fast den ganzen linken Teil von Jinjas Süden grasen wir ab. durch frühere Impfrunden kennt Rosie die meisten Familien und weiß, wo wir Kleinkinder finden.
mehr an Organisation gibt es nicht, keine Datenerfassung außer unseren Zetteln, keine Register der Kinder, die wir abhaken, wie das in Deutschland wäre. es funktioniert mit der ugandischen Methode auch gut. anscheinend gab es eine Durchsage im Fernsehen und Radio, dass im September und Oktober health workers kommen und impfen. die Regierung veranlasst und bezahlt das ganze, nachdem es im August einen Ausbruch gegeben hatte. für eine effektive Polio-Impfung sind 3 Impfungen in 3 Monaten nötig, das hier ist die zweite Runde.
als nächstes gehen wir zu einem Kinderheim, wo uns die amerikanische Leiterin Joy die Arbeit schwer macht. Ich glaube, sie versteht die „ugandische Methode“ nicht, und meint, dass keins der Kinder einen Impfpass hat (haha) und überhaupt. Rosie ist ein bisschen angepisst das die Muzungu-Frau sie ihren Job nicht machen lässt und diskutiert erst am Handy, nachdem Joy aus der Innenstadt kommt auch persönlich mit derselben für etwa eine halbe Stunde. Joy kommt erst auf mich zu, in der Annahme, ich hätte irgendeine Art von Führungsrolle inne, ich leite sie respektvoll an meine dunkelhäutige Chefin weiter.
ich darf keine Fotos machen, übrigens, da die Kinder nicht monetär ausgebeutet werden sollen.
das Kinderheim ist wunderschön, sauber und niedlich eingerichtet, Giraffensticker an der Wand usw. eine Kinderfrau zeigt uns zuerst 3 Babys, die im Wickelraum auf einer Fleece-Decke liegen. ich denke, sie sind neu, denn sie sind unterernährt und haben Arme so dick wie mein Daumen (kein Scheiß). Rosie tropft, ich markiere.
als nächstes etwa 15 Kinder (2 oder 3 Jahre) im Fernsehzimmer: effizient getropft und gemarkert, check. die Kinder sind sehr still und starren auf den Bildschirm, nach den ersten 3 machen alle im Voraus den Mund auf und strecken mir ihre winzigen Finger entgegen.
als nächstes die Babys, eine Stockwerk darüber. es ist unglaublich, wie luxuriös hier alles eingerichtet ist, Säuglinge in Krippen und mit Kuscheltieren, es gibt Regale mit den Namen der Kinder auf kleinen Tafeln (!!). einige gelangweilte amerikanische Mädchen in meinem Alter sitzen herum und wiegen Kleinkinder in Wippen und Laufställen. auch ein deutsches Mädchen ist dabei, sie ist auch weltwärts und wir unterhalten uns kurz. sie kommt aus Bremerhafen. sie und die Amis und sind Freiwillige hier und betreuen die Kinder.
auf dem Weg zur nächsten Siedlung macht sich Rosie erstmal Luft über Joy, die ihr anscheinend nicht zum ersten Mal Ärger gemacht hat. „warum kann mich die Frau nicht einfach meine Arbeit machen lassen? es war doch im Radio, sie wusste doch dass wir kommen! jetzt haben wir da ne Stunde rumgehangen, denkt die denn wir hätten ewig Zeit?!“
ich frage sie ein bisschen über ihre Arbeit aus. sie ist Krankenschwester und Hebamme und 27, mit 30 will sie gerne Kinder haben.
als nächstes kommen wir in eine Nachbarschaft, die aus kleinen gezimmerten Hütten besteht, eng beieinander und kaum so hoch wie ich. wir steigen über einen Grashügel und Rosie weist mich an, mich mit ihr auf einen herbeigeschafften Schemel zu setzten. sie spricht Luganda mit ein paar Müttern. „wie findest du es hier?“ fragt sie. „staubig“ sage ich. „tjah ist halt ein Slum...“ ist die Antwort.
eine Horde Kinder kommt angerannt und gucken uns neugierig an. „lugandalugandaluganda sweetie“, und wir bekommen drei Kleinkinder vorgesetzt, die von ihren älteren Geschwistern hergetragen werden. tropfen, markern. ich darf auch mal tropfen. die Kinder sind barfuß oder beflipflopt, tragen zerrissene Tshirts und kurze Hosen, manche Mädchen auch ein Kleid. alle sind aber gut ernährt, fröhlich und gesund. manche haben allerdings eine Rotznase, die sich gewaschen hat. ein Mädchen ist mutig und fasst meinen Pferdeschwanz an. ich finde das süß, auch werde ich unauffällig befühlt und bekomme den ultimativen Schlachtruf „Muzungu! how are you?“ zugerufen.
„sollen wir nicht rumgehen und andere Kinder suchen?“ „och nö, die kommen von alleine, bleib mal sitzen.“ und es stimmt, je mehr sich zwischen den älteren Kindern herumspricht, das kleine Kinder gewünscht sind, schleppen und tragen sie mehr und mehr kleine Geschwister heran.
manche Kleinen fürchten sich und müssen überredet werden, uns sich überhaupt zu nähern. manche großen Geschwister machen kurzen Prozess und drücken auf Wangen und Nasen, um den Mund aufzuzwängen.
schließlich stehen wir doch auf und laufen los, gucken in Häuser, sprechen mit Müttern, suchen Säuglinge und Babys, die Mittagsschlaf machen, immer gefolgt von einer Herde Kinder verschiedenen Alters. ich immer mit 3 an jeder Hand und mit einem auf der Hüfte. mit wird klar, dass die Siedlung an der Nile Crescent Avenue liegt, einer Straße, die den kompletten Süden vor Jinja am Wasser entlang umschließt, und wo ich mit Zack oft langjogge. (gerade kamen wir von der anderen Seite). überall laufen Hühner und Küken herum, manchmal eine Ziege. an den Hütten an der Straße wird Gemüse verkauft. viele Menschen kochen vor ihrer Hütte auf kleinen Feuern oder braten Fische und Maiskolben.
die Hütten sind extrem einfach und winzig und stehen im Straßenstaub, aber es ist verhältnismäßig sauber und organisiert. die ganze Zeit schon habe ich versucht, den Geruch auszumachen, der allen Kindern anhaftet.
es ist Pipi-Geruch.
die Erwachsenen sind freundlich und lassen uns machen, ein paar Männer starren mich an. schließlich fängt es an zu regnen, und ein Frau lädt Rosie und mich in ihr Haus ein. wir setzten uns aufs Bett.
direkt neben dem Bett ist die Tür, vor der Tür ein Tisch mit einem Bassin, eine Zahnbürste hängt an einem Nagel an der Wand. die ist dekoriert mit Zeitungen und einem Kalender. die Hütte ist so hoch wie ein Erwachsener und fast vollständig ausgefüllt mit dem Bett. hinten geht es noch ein bisschen weiter, aber nicht viel, abgetrennt durch einen Vorhang. die Frau drückt uns jeweils einen halben gekochten Maiskolben in die Hand. wir warten, dass der Regen aufhört, und pflücken Körner vom Kolben.
Rosie und die Frau unterhalten sich auf Luganda. ich schaue mich weiter in der Hütte um. so klein, für zwei Erwachsene und wer weiß wie viele Kinder, der Durchschnitt in Uganda ist ungefähr 8. saubere Kleidung hängt an Bügeln an den Wänden. eine 4Jährige und ein Baby tollen herum, das Baby mit nacktem Po, mit dem es von der Mutter auf den (Ess?)Tisch gesetzt wird. die Kinder fragen nach Essen, und die Mutter kramt einen Plastiktopf mit kalten Reis heraus.
„wie findest du es hier?“ fragt mich Rosie. „die Leute sind arm...“ sage ich lahm. „es ist schrecklich, terrible. Diese Lebensumstände … ach“ seufzt sie.
vor diesem Austausch habe ich selbst im Kopf gar nicht bewertet, was ich gesehen habe. die Arbeit, das Rumgelaufe, das neuen Eindrücke, die Hitze heute haben mir nicht die Zeit gelassen, mir Gedanken zu machen. und selbst dann wäre es mir unangemessen vorgekommen, mit einer Mitleidsmiene in anderer Leute Häuser zu gucken.
Rosies Kommentar stößt mich nun aber mit der Nase darauf, wie arm die Menschen sind und wie einfach, beengt und unhygienisch die Zustände in dieser Hüttensiedlung. auch ihr Handy, ein chinesischer iPhone-Abklatsch, den sie jetzt aus der Tasche zieht, um jemanden anzurufen, der uns abholt, kommt mir geradezu grotesk vor in dieser Umgebung. Rosie tippt ein bisschen auf dem Touchscreen herum, während sich das Mädchen mit der gleichen Miene konzentriert im Ohr pult, und sagt dann: „okay, jemand holt uns ab, wir gehen.“
an der Straße steigen wir beiden in ein Auto, in dem Evelyn und Irene schon sitzten, und werden zum Health Center gebracht.
ich frage, ob ich morgen nochmal mitkommen kann (denn die Impfrunde dauert mehrere Tage, die RC-Freiwilligen sind aber nur für Samstag mit eingeplant). Rosie gibt mit ihre Nummer und meint, ich soll sie anrufen.
ich kann im Nachhinein noch nichtmal sagen, warum ich mich freiwillig dafür gemeldet habe, diesen Sonntag zu arbeiten, morgens um 9 (sehr uncharakteristisch für mich, wie ihr euch denken könnt), im Schmuddel, mit viel Herumgelaufe und Stress verbunden. wahrscheinlich einfach das Gefühl, etwas Nützliches und Interessantes getan zu haben, und der Wunsch danach, so viel verschiedenes von Uganda zu sehen wie möglich.
PS: auf dem Rückweg zur Branch mit Francis hat es in Strömen geregnet und ich hab ein paar Fotos gemacht:

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